EL BUEN SAMARITANO e.V.

Newsletter vom 2. Mai 2020: Schule in Zeiten der Coronapandemie

Während ich diese Zeilen schreibe, hätte eigentlich unsere Mitgliederversammlung, die 30-Jahrfeier und das Benefizkonzert mit dem Musikkabarett Chor der Mönche stattfinden sollen – all das im Beisein von Elizabeth Castro, die unterdessen schon vor mehr als drei Wochen in Deutschland hätte angekommen sein sollen. Daran zu denken macht mich wehmütig, obwohl ich weiß, dass viele andere Unternehmungen und viele andere Menschen noch viel härter von den neuen Gegebenheiten getroffen sind als wir.

Perú ist nach Brasilien in Lateinamerika das Land, das am zweitstärksten von der Pandemie befallen ist. Die WHO meldet heute 36976 bestätigte Infektionen und 1051 Todesfälle. Das peruanische Gesundheitsministerium spricht von über 40000 Infektionen. Da die Testkapazitäten beschränkt sind, ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Alle Regionen des großen Landes sind betroffen. Die Regierung hat eine strenge Ausgangssperre verhängt. Bis vor kurzem durften Männer nur montags, mittwochs und freitags, Frauen nur dienstags, donnerstags und samstags und an den Sonntagen überhaupt niemand das Haus verlassen. Jetzt darf je Haushalt nur eine Person einmal pro Woche das Haus verlassen. Ab 18 Uhr und sonntags darf überhaupt niemand unterwegs sein. Gesichtsmasken und Handschuhe sind seit Anfang April obligatorisch. Die Maßnahmen werden von der Polizei rigoros durchgesetzt. Das Ziel der Maßnahmen ist, wie bei uns, die weitere Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Das peruanische Gesundheitswesen ist bereits jetzt am Limit, es gab Anfang April im ganzen Land 40 Beatmungsgeräte und 500 Intensivbetten, und das bei einer Bevölkerung von 32 Millionen Menschen. In den Medien liest man von Gefangenenaufständen in Gefängnissen in Lima und von Massengräbern in den Provinzen. Auf Fotos sieht man in den Medien immer wieder Menschenmengen, beispielsweise auf Märkten, in denen offensichtlich keine Abstandsregeln eingehalten werden. Die peruanischen Städte und vor allem Lima sind derart dicht besiedelt, dass es für mich kaum vorstellbar ist, wie social distancing da funktionieren soll.

In der unmittelbaren Umgebung unserer Schule und unter den Familien unserer Schülerinnen und Schüler sind bislang keine Infektionsfälle bekannt geworden. Aber von den Auswirkungen der Schutzmaßnahmen sind diese Familien nicht weniger beeinträchtigt als Millionen anderer wirtschaftlich Benachteiligter auf der ganzen Welt. Vor der Krise waren ca. 10% der Eltern unserer Schülerinnen und Schüler in Festanstellung mit regelmäßigem Lohn. Jetzt sind es nach Aussage von Elizabeth noch 2%. Die übrigen 98% leben, beispielsweise als ambulante Händler, heute von dem, was sie heute verdienen. Und das heißt zur Zeit: Sie stehen vor dem Nichts. Die Regierung hat für Familien, die keine Einnahmen haben, pauschale Hilfszahlungen von 760 Soles [ca. 220 Euro] angekündigt; die Verteilung des Geldes funktioniert aber wohl nur schleppend. Außerdem wurden die Preise für Grundnahrungsmittel, die zunächst in die Höhe geschnellt waren, gesetzlich gedeckelt. Es fällt mir schwer, mir auszumalen, wie es den armen Familien in ihren engen Behausungen gehen mag.

Unsere Schule hat am vergangenen Montag den Unterrichtsbetrieb wieder aufgenommen, aber natürlich nicht mit Präsenzunterricht, sondern auf Distanz. Wie geht das? Die wenigsten haben zuhause Internet und Computer – aber nahezu alle Familien haben mindestens ein Handy. Und die Lehrerinnen haben die Handynummern. Es hat sich herausgestellt, dass praktisch alle mit ihren Handys den Messenger-Dienst WhatsApp nutzen können. Mobilfunkverträge und Prepaid-Angebote in Perú schließen üblicherweise ein eng begrenztes Datenvolumen für Internet ein, aber WhatsApp kann man meist unbegrenzt nutzen, was wohl ein kluger Schachzug des Anbieters dieses Dienstes, der US-amerikanischen Facebook Inc., ist: So gut wie alle Peruaner sind deshalb WhatsApp-Nutzer. Damit wird zwar dem Missbrauch persönlicher Daten und der Monopolbildung Vorschub geleistet, was ich nicht gut finde, aber für unsere Schule ist das tatsächlich eine gute – und vielleicht die einzige – Möglichkeit, Unterricht anzubieten, der, anders als auf anderen Online-Plattformen, nicht in Echtzeit und nicht interaktiv stattfindet, aber immerhin so: Die Lehrerinnen nehmen mit ihren Handys Unterrichtseinheiten auf Video auf und schicken sie per WhatsApp an ihre Schülerinnen und Schüler, bzw. an deren Eltern oder andere Verwandte oder Nachbarn (die hoffentlich beim Ausleihen des Handys auf Abstand achten). Die Kinder sehen sich das Video an und schicken dann ihre Fragen oder Lösungen von Aufgaben per WhatsApp-Nachricht oder Sprachnachricht, die sie auf das Handy aufsprechen, an die Lehrerin zurück. Ich bin sehr gespannt, wie gut das klappt.

Die Schulgebühr hat Elizabeth für die Zeit des Fernunterrichts auf die Hälfte reduziert. Sie glaubt, dass die Eltern die 40 Soles (ca. 11 Euro) bezahlen werden. Es ist viel weniger als in anderen privaten Schulen, und die Plätze in unserer Schule sind rar und begehrt. Die Lehrerinnen beziehen bis auf weiteres ein um ein Viertel reduziertes Gehalt. Wenn unser Spendenaufkommen nicht stark zurückgeht und der Zustand nicht zu lang anhält, sollten wir finanziell einigermaßen hinkommen und nach der Krise hoffentlich so weitermachen können, wie wir zu Beginn dieses Schuljahres schwung- und hoffnungsvoll angefangen haben.

Soviel als kleiner Zwischenstand aus Mariátegui.

Ich hoffe von Herzen, dass es Euch allen gut geht und dass Ihr mit den Einschränkungen, die die Pandemiebekämpfung mit sich bringt, gut (so gut wie möglich) zurecht kommt.

Viele herzliche Grüße
aus München, wo ich überwiegend im Home Office arbeite
Ihr/Euer
Holger von Rauch

PS: Dieser Text ist als ► E-Mail-Newsletter verschickt worden. Wenn Sie künftig auch unregelmäßig (ca. vier Mal pro Jahr) per E-Mail über Neuigkeiten informiert werden wollen, schreiben Sie bitte eine kurze ✉ E-Mail an: newsletter(at)EBSeV(dot)de → bitte (at) durch @ und (dot) durch . ersetzen ←.

► Zur Übersicht über das Jahr 2020

► Zur Übersicht über das Jahr 2019

► Zur Übersicht über das Jahr 2018