In den letzten Wochen seit der Absage von Elizabeths Reise haben sich die Ereignisse in Perú förmlich überschlagen. Hier will ich versuchen, die Vorgänge und die aktuelle Situation zu schildern.
Vorweg: Die Lektüre ist keine leichte Kost, einiges ist sehr unschön und vieles einfach unsäglich und grotesk. Aber wir haben uns nun einmal Transparenz auf die Fahnen geschrieben, deshalb kommen wir nicht darum herum, mitzuteilen, was wirklich geschieht, und wir können uns nicht dem alten Marketing-Prinzip folgend auf immer nur positive Botschaften beschränken. Und die Arbeit von El Buen Samaritano e.V. findet nun einmal nicht irgendwo in Deutschland statt, sondern in einem peruanischen Armutsgebiet, und da ist vieles anders.
Eine kurze Bemerkung zu Elizabeths nicht angetretener Reise: Der Verlust beträgt 432,03 Euro, da trotz der späten Stornierung 540,62 Euro von den Flugkosten zurückerstattet wurden.
Am 29. März stellte ich unter anderem die Fragen "Was können wir tun?", "Was kann Elizabeth tun?" und "Wie geht es weiter?"
Zur ersten Frage bleibt meine Einschätzung etwa gleich: Wir können nicht viel tun. Meine Briefe an die Schulaufsichtsbehörde haben nichts oder zumindest wenig bewirkt. Die Beamten dort haben zwar wohl ein bisschen besser verstanden, um was für eine Art von Organisation es sich bei El Buen Samaritano e.V. handelt, aber Auswirkungen auf ihr Tun hatte das nicht. Ich schrieb auch einen Brief an alle Eltern der Schule, in dem ich die Geschichte von El Buen Samaritano e.V. zusammenfasste und die Eltern aufforderte, Elizabeth gegenüber der Schulaufsichtsbehörde zu unterstützen. Elizabeth verlas den recht ausführlichen Brief bei der Elternversammlung am 2. April und verteilte Fotokopien an alle, die sie haben wollten. (Bei dieser Versammlung wurde auch beschlossen, am darauf folgenden Freitag, dem 6. April, zur Schulaufsichtsbehörde zu marschieren und die Öffnung des Registrierungssystems zu fordern.)
Die zweite Frage, was Elizabeth tun kann, ist das große Thema. Alles hängt derzeit von ihr ab. Es liegt eine ungeheure Last auf ihr, und es ist bemerkenswert, wie gut sie das alles bisher durchsteht.
Zur dritten Frage, wie es weitergeht, muss ich feststellen, dass meine Prognose falsch war, denn eine schnelle Lösung für das Problem des Zugriffs auf das Registrierungssystem gab es nicht.
Eine gute Nachricht ist jedoch, dass das Problem mit dem Registrierungssystem jetzt für dieses Jahr (aber bisher nur für dieses Jahr) gelöst ist und sich Lösungsmöglichkeiten auch für das Hauptproblem abzeichnen. Was wohl feststehen dürfte ist, dass es nach diesem Jahr nicht ohne eine ordnungsgemäße Betriebserlaubnis weitergehen wird.
Gleichwohl hat sich die Situation einstweilen massiv verschärft, und zwar vor allem deshalb, weil der frühere Leiter unserer Arbeit (bis 2006), Telmo Casternoque, und sein peruanischer Verein "El Buen Samaritano del Perú" wieder aktiv geworden sind.
Wir wissen nicht, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen den Aktivitäten dieser Leute und dem veränderten Verhalten der Behörden. Fest steht nur, dass sie nun, nach 12 Jahren, doch wieder eine Chance sahen, sich die Schule anzueignen.
So fand am 4. April in einem Restaurant in einigen Kilometern Entfernung eine von Telmo Casternoque einberufene Versammlung statt, bei der einige Eltern und der von "El Buen Samaritano del Perú" formell eingesetzte Direktor anwesend waren. Von dieser Versammlung, die fast drei Stunden dauerte, gibt es eine Tonaufnahme, die eine anwesende Mutter mit ihrem Handy gemacht hat und die mir vorliegt. Die Aufnahmequalität ist nicht gut, sodass ich nur ca. 10% des Gesprochenen verstehen kann, aber es genügt, um einen deutlichen Eindruck zu gewinnen. Insbesondere werden Elizabeth und ich (und einige der Lehrerinnen) bei dieser Versammlung heftig persönlich diffamiert. Von mir heißt es unter anderem, ich sei Kommunist und drogenabhängig. Elizabeth wiederum habe sich bereichert und unterschlage das für die Kinder bestimmte Geld. (Leider findet sich immer jemand, der so etwas glaubt, dabei ist es leicht, nachzurechnen, dass sich die Schule mit 60 Soles [ca. 17,50 Euro] Monatsgebühr nicht tragen, geschweige denn Gewinne erwirtschaften kann.)
Auf dieser Aufnahme wird behauptet, Telmo Casternoque habe bei seinen Deutschlandaufenthalten Tag und Nacht hart gearbeitet und über 200.000 Euro verdient und "el gringo" (also ich) habe ihm das ganze Geld weggenommen. Das Geld, das heute aus Deutschland kommt, sei daher eigentlich sein Geld.
Den anwesenden Eltern wird versprochen, dass die Schulgebühren sofort nach Übernahme der Schule auf 30 Soles gesenkt würden (dabei war Telmo Casternoque schon 2005 bei 65 Soles angekommen, was mit uns nicht abgesprochen war – aber daran erinnern sich natürlich nicht mehr viele). Dass eine solche Beitragssenkung erhebliche monatliche Unterstützungsleistungen von außen voraussetzen würde, wäre auch wieder leicht auszurechnen, trotzdem wird kaum nachgefragt, und die Zuhörerinnen und Zuhörer geben sich mit einer vagen Ankündigung von irgendwelchen Hilfsgeldern aus Italien zufrieden.
Es ist zu auch hören, wie der Pseudoschuldirektor den Eltern Angst macht und behauptet, die Schulabschlüsse aller Kinder, die in den letzten zwölf Jahren die Schule verlassen haben, seien wertlos und ungültig. Eine Mutter wendet ein, ihr Sohn habe die Schule 2010 verlassen und nie Probleme gehabt und studiere jetzt an der Universität.
Die Aufnahme endet damit, dass der Wirt die ganze Gruppe, die viel Geräusch gemacht aber nichts zu Essen bestellt hatte, aus dem Lokal wirft.
Diese Art der Agitation bleibt nicht ohne Wirkung. Die Menschen im Armutsgebiet sind ebenso empfänglich für leere Versprechungen wie für böse Gerüchte, hier gepaart mit Missgunst gegenüber der Nachbarin Elizabeth, die solch einen beruflichen Erfolg erzielt hat. Die Denkweise, wer unten ist, soll auch unten bleiben, hält sich offenbar gerade unter denen besonders hartnäckig, die selbst zu den Benachteiligten gehören. Wie gut die Schule in den letzten Jahren geführt wurde und wie gut sie funktioniert hat, ist da schnell vergessen.
Verständlich ist und erwartbar war, dass besonders die Eltern der Kinder, die in eine andere Schule gewechselt haben, wegen der blockierten Zertifizierung ungeduldig werden würden, denn dieser Umstand bereitete diesen Kindern tatsächlich große Probleme.
Der Marsch zur Schulaufsichtsbehörde fand am 6. April statt. Ein Großteil der Eltern (mehrere Hundert) hatte die Teilnahme angekündigt und sie hatten sich im Vorfeld darauf verständigt, auf jeden Fall nicht beleidigend oder gewalttätig zu werden, sondern als ernsthaft besorgte Familienväter und -mütter aufzutreten. Plakate und Schilder wurden vorbereitet, das Fernsehen und die Presse eingeladen. Wie so oft lief es dann aber doch ein bisschen anders ab. Viele der Eltern kamen mit kleinen Kindern zum Treffpunkt vor der Schule. Sie wurden aufgefordert, zuhause zu bleiben, damit die Kinder nicht in Gefahr kommen. Auf dem Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Schulaufsichtsbehörde verloren sich dann noch diverse weitere Eltern, sodass am Ende nur etwa 200 Personen vor der Behörde standen und in Abwandlung eines chilenischen Revolutionslieds skandierten: "¡Los padres unidos jamás serán vencidos!" [Die vereinten Eltern werden niemals besiegt!]. Die Presse und das Fernsehen hatten ihr Kommen zwar zugesagt, erschienen aber nicht, so ist das Ganze nur durch ein paar Handyvideos dokumentiert. Zehn Elternteile wurden schließlich eingelassen und konnten zwar nicht mit der Behördenchefin sprechen, dafür aber immerhin mit dem Abteilungsleiter, der die Sperrung des Registrierungssystems angeordnet hatte. Dieser versuchte nun, die Schuld auf Elizabeth zu schieben, woraufhin sie von manchen der Eltern verteidigt wurde, die erklärten, dass die Schule wirklich gut funktioniert und tatsächlich als soziales Projekt arbeitet. Obwohl man diesem Abteilungsleiter schon oft gesagt hat, dass die Monatsgebühr nur 60 Soles beträgt, ging ihm offenbar im Gespräch mit den Eltern erstmals auf, dass das enorm günstig ist, zumal wenn auch noch ein Frühstück ausgegeben wird.
Messbare Auswirkungen hatte die ganze Aktion aber leider nicht.
In der darauf folgenden Woche schaltete sich überraschend das Bildungsministerium ein und kündigte Elizabeth telefonisch an, anzuordnen, dass das Registrierungssystem umgehend geöffnet wird, und zwar mit der Begründung, die wir auch immer anbringen, dass nämlich die Kinder in der Fortsetzung ihrer Schulbildung bedroht sind. Diese Initiative verlief sich aber wohl im internen Kompetenzgerangel der Behörden und hatte jedenfalls auch keine Auswirkungen.
Der Druck auf Elizabeth wuchs unterdessen immer weiter. Einige Eltern beschimpften sie als Betrügerin, drohten ihr persönlich. Am Morgen vor dem Marsch zur Schulaufsichtsbehörde erhielt sie einen anonymen Anruf, in dem man ihr sagte, man werde sie umbringen, wenn sie an dem Marsch teilnehme. Sie nahm trotzdem teil.
Schließlich fand sie einen Weg, zumindest für die Kinder, die in die Sekundarschule gewechselt haben, den Primarschulabschluss zu zertifizieren, und zwar über einen Interessenverband privater Schulen, zu dem sich große, wirtschaftlich starke Privatschulen zusammengeschlossen haben. Auch die haben mitunter ähnliche Probleme mit den Behörden und haben deshalb mit dem Bildungsministerium eine Übereinkunft, nach der dieser Interessenverband in bestimmten Fällen Kinder stellvertretend für eine Schule zertifizieren kann (eine sehr seltsame Blüte dieses ganzen Bürokratieirrsinns). Diese Dienstleistung kostete Elizabeth knapp 1000 Euro, doch das allerdringlichste Problem war damit gelöst.
Mehr aber auch nicht. Immer mehr Eltern meldeten jetzt ihre Kinder von der Schule ab, verlangten ihre Einschreibegebühr zurück, andere meldeten die Kinder zwar nicht ab, stellten aber die Zahlung ihrer Monatsgebühren ein und weigerten sich, zum Frühstücksdienst zu erscheinen. Seit zwei Wochen gibt es deshalb kein Frühstück mehr.
In dieser überaus angespannten Situation hielt die Gegenseite die Zeit offenbar für gekommen, die Schule zu übernehmen. Zumindest sprach sich herum, dass dies am 11. April geschehen würde. Nach den versuchten Übernahmen in den Jahren 2009 (siehe 52. Rundbrief, S. 4 bis 6, 14. u.a.) und 2010 (siehe 53. Rundbrief, S. 14 bis 27) wäre das der dritte Anlauf. Es wurde das Gerücht gestreut, die Schule falle aus, die meisten Kinder kamen aber trotzdem. Wie 2010 erbat und erhielt Elizabeth Polizeischutz. Vielleicht waren es die Uniformen (und die Erinnerung an 2010), die bewirkten, dass an diesem Tag dann doch nichts geschah.
Auch in den folgenden Tagen blieb es ruhig. Es wurde bekannt, dass die Schulabgänger inzwischen alle regulär in ihren neuen Schulen eingeschrieben waren; der Schulbetrieb lief (abgesehen vom Frühstück) normal. Insgesamt schien sich die Situation allmählich etwas zu beruhigen, auch wenn das eigentliche Problem, die Betriebserlaubnis, und das Problem des Zugriffs auf das Registrierungssystem weiterhin nicht gelöst waren.
Am 19. April ging Elizabeth beim Polizeikommissariat vorbei und traf dort zu ihrer Überraschung mehrere Vertreter des peruanischen Vereins "El Buen Samaritano del Perú" an, die mit Polizisten diskutierten und mit Papieren wedelten. Auf diese Weise erfuhr sie, dass die Gegenseite nun beabsichtigte, die Schule am 20. April in Besitz zu nehmen und dieses Mal selbst mit Polizeibeamten anzurücken.
Elizabeth fuhr daraufhin direkt zur Staatsanwaltschaft und zur Schulaufsichtsbehörde und forderte alle auf, am nächsten Tag in die Schule zu kommen. Dann sagte sie alle Auswärtstermine ab, um den ganzen Tag in der Schule sein zu können, und bat die Pastorin ihrer Kirchengemeinde, Andrea Hartel aus Deutschland (von ihr war schon in manchen Rundbriefen die Rede), am nächsten Tag in die Schule zu kommen. Außerdem forderte sie wieder Polizeischutz, diesmal von einer Spezialeinheit zur Verbrechensverhütung an.
Meine folgenden Schilderungen basieren auf dem telefonischen Bericht Elizabeths, auf einigen E-Mails der Lehrerin Susana und auf einem Telefonat mit der Pastorin Andrea Hartel.
Wieder war das Gerücht gestreut worden, die Schule falle aus, und wieder waren die meisten Kinder trotzdem gekommen.
Am späten Vormittag erschienen die Vorsitzende des peruanischen Vereins "El Buen Samaritano del Perú", die von Beruf Hilfslehrerin an einer staatlichen Schule ist, der von diesem Verein formell eingesetzte Direktor, diverse weitere Mitglieder dieses Vereins, einige Pressevertreter, eine Rechtsanwältin und einige Polizeibeamte vor der Schule. Telmo Casternoque selbst war nicht dabei. Bis heute darf er sich wegen einer Bewährungsauflage der Schule nicht nähern.
Das Ziel dieser Gruppe war, Elizabeth aus der Schule zu jagen, an ihrer Stelle den mitgebrachten Direktor ins Direktionszimmer zu setzen und sich sodann für alle sichtbar als die neuen Hausherren zu präsentieren.
Schnell wuchs die Menschenmenge vor der Schule auf sicher hundert an, darunter viele Unterstützer der Gruppe, teils mit Transparenten, aber auch Eltern, die zu Elizabeth halten, und einige Schaulustige. Die Stimmung war aufgeladen, und ohne die Präsenz der Polizei (um die zehn Uniformierte waren zeitweise da) wäre es möglicherweise zu Gewaltausbrüchen gekommen.
In der Schule fand währenddessen normaler Unterricht statt. Wie so ein bedrohlicher Aufmarsch auf die Schulkinder wirken muss, war den Angreifern anscheinend herzlich gleichgültig. Im Direktionszimmer waren Elizabeth, eine Beamte der Schulaufsichtsbehörde und die Pastorin Andrea Hartel. Sie verfolgte die Vorgänge in der Schule und zeitweise auch außen, wo sie mit beiden Seiten sprach.
Elizabeth stellte sich in die Tür, verwies auf ihr Hausrecht und untersagte den Zugang allen außer einem der Polizeibeamten, die mit der Gruppe gekommen waren. Ihn lud sie ein, sich ein Bild von den Gegebenheiten in der Schule zu machen. Dem Polizisten war offenbar nicht recht wohl bei der Sache und er erklärte gleich, er sei überhaupt nur gekommen, um Sachverhalte festzustellen und nicht etwa, um irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen. In der Schule sah er sich um und ließ sich Elizabeths Sicht der Dinge erklären. Danach trat er hinaus und sagte den Wartenden, es gebe keine Handhabe und keine Notwendigkeit, hier einzugreifen, woraufhin er beschimpft und beschuldigt wurde, er habe sich von Elizabeth bestechen lassen.
Da traf die Staatsanwältin ein. Sie hörte den Bericht des Polizeibeamten, nahm ebenfalls die Schule in Augenschein und sprach mit Elizabeth, der Vorsitzenden, dem Pseudodirektor und der Anwältin der Gegenseite. Danach erklärte sie, dass im Interesse der Schulkinder solange nichts am aktuellen Betrieb der Schule geändert werden dürfe, bis ein rechtskräftiges Gerichtsurteil vorliege, und sie kündigte an, jeden sofort verhaften zu lassen, der die Schule unbefugt betrete. Sie ermahnte die Gegenseite, künftig auf derartige Aufmärsche, die Kinder und Lehrerinnen in Gefahr bringen, zu verzichten. Die Schulaufsichtsbehörde verpflichtete sie, den Schulbetrieb bis auf weiteres zu garantieren.
(Nach allem, was wir in diesem Zusammenhang schon erlebt haben, ist es geradezu überraschend, plötzlich so vernünftige Worte zu lesen, nicht wahr?)
Die anwesende Vertreterin der Schulaufsichtsbehörde nahm diese Aussage zur Kenntnis und ließ sich sofort die Unterlagen aller Schulkinder aushändigen. Für den Rest des Schuljahres hat die Schulaufsichtsbehörde nun selbst die Registrierung (Matrikulation, Zertifizierung und Exmatrikulation) für alle Schülerinnen und Schüler unserer Schule übernommen, sodass sichergestellt ist, dass alle dieses Schuljahr regulär abschließen können.
Mit diesem Verlauf hatte die Gegenseite nicht gerechnet, und ihre Unzufriedenheit über dieses Fiasko war deutlich zu sehen und zu hören.
Die Staatsanwältin blieb noch da, bis der Unterricht endete, und wachte persönlich am Schultor darüber, dass alle Kinder unbehelligt den Nachhauseweg antreten konnten.
Am Nachmittag versammelte sich der ganze Lehrkörper zur Beratung. Auch für die Lehrerinnen ist die aktuelle Situation sehr belastend. Auch sie sind täglich den Anwürfen und Bedrohungen mancher Eltern ausgesetzt und machen sich Sorgen um die Zukunft der Institution, bei der sie arbeiten. Unter diesen Umständen ist es bemerkenswert, dass sie – noch – alle zu Elizabeth stehen, und das obwohl die Gegenseite auch für sie schon (gewiss leere) Versprechungen gestreut hat für den Fall, dass sie sie unterstützen.
Als die Lehrerversammlung beendet war, waren keine Behördenvertreter mehr anwesend, die Polizei war abgezogen und auch die Pastorin Andrea Hartel war nach Hause gefahren. Die Menschenmenge hatte sich weitgehend aufgelöst und es war ruhig geworden.
Als Elizabeth gerade dabei war, die Schule abzuschließen, erreichte sie ein Anruf von jemandem, der am nahegelegenen Markt eine größere Gruppe von Menschen beobachtet hatte, die sich jetzt auf den Weg in Richtung Schule machte. Der Anrufer schickte ein Motorradtaxi zur Schule und riet Elizabeth, damit rasch wegzufahren. Als Elizabeth das Motorradtaxi bestieg, trafen diese Leute auch schon ein, offenbar in der Absicht, sie zu verprügeln. Sie versuchten, sie aus der Kabine zu zerren, beschimpften sie, das Motorradtaxi kippte beinah um. Einige Lehrerinnen gingen mutig dazwischen, forderten die Aggressoren auf, abzulassen, Nachbarn kamen hinzu, es kam zu einem regelrechten Tumult. Schließlich konnte das Fahrzeug losfahren. Elizabeth verbrachte den Abend im Haus einer der Lehrerinnen, fuhr spät zurück und ging dann unbehelligt zu Fuß zu Ihrem Haus. Einige der Angreifer hatte sie erkannt. Sie will Strafanzeige erstatten.
Als wir am nächsten Morgen telefonierten, sagte sie mit matter Stimme, man habe da gestern una gran victoria [einen großen Sieg] errungen. Euphorisch klang sie dabei nicht.
Ich telefoniere zur Zeit oft und lang mit Elizabeth und weiß daher, wie ungeheuer belastend all das für sie ist. Ich denke, nach meinen obigen Schilderungen ist das nachvollziehbar, und es muss niemanden verwundern, dass sie zwischenzeitlich auch schon nahe daran war, zu verzagen und ihre geliebte Berufung, für die sie lebt, aufzugeben. (Ich kenne nicht viele Leute, von denen ich glaube, dass sie so etwas aushalten würden.)
Auf der anderen Seite scheint sich das Blatt ja nun ein bisschen zu wenden, zumindest haben wir bis zum Schuljahresende im Dezember Zeit gewonnen, und die Zeit spielt für uns, denn je länger nun normaler Schulbetrieb stattfindet, ohne dass die Zertifizierungen für die Schulkinder in Gefahr sind, desto schwieriger wird es die Gegenseite mit Argumenten haben, zudem sich hoffentlich allenthalben herumspricht, was sich letzten Freitag abgespielt hat. Auch das Strafverfahren, das Elizabeth gegen den peruanischen Verein "El Buen Samaritano del Perú", seine gesetzlichen Vertreter und Telmo Casternoque auf den Weg gebracht hat, könnte unterdessen vorankommen und neue Tatsachen schaffen.
Elizabeth hat einen neuen Anwalt beauftragt, der früher selbst im Bildungsministerium gearbeitet hat und die Strukturen wohl sehr gut kennt. Er macht ihr nun große Hoffnungen, dass die Umschreibung der vorhandenen Betriebserlaubnis auf El Niño Jesús und damit die offizielle Anerkennung Elizabeths als Direktorin sehr wohl erreichbar sein müsse. Allerdings ist das ja genau das, was wir seit nunmehr zwölf Jahren vergeblich zu erreichen versucht haben. Dass das die folgerichtigst denkbare Maßnahme wäre, steht indes außer Zweifel, denn es ist ja schlicht eine Tatsache, dass die Schule seit all diesen Jahren durch Elizabeth geleitet und betrieben wird.
Wenn die Umschreibung der Betriebserlaubnis nicht erfolgt, wäre eine zweite Möglichkeit, dass eine ganz neue Betriebserlaubnis beantragt wird. Auch das hat Elizabeth schon versucht, aber auch hier macht ihr der neue Anwalt Hoffnungen.
Eine dritte Möglichkeit bestünde dann noch darin, eine Betriebserlaubnis von einer anderen Schule abzukaufen. Das geht tatsächlich, und es ist (merkwürdigerweise) auch legal. Elizabeth hat sogar kürzlich schon mit einer Dame verhandelt, die eine gewerblich ausgerichtete Schule in einem anderen Teil von San Juan de Lurigancho betrieben hat, Konkurs gegangen ist und nun durch den Verkauf der Betriebserlaubnis ihre Verluste wieder wettmachen möchte. Diese Variante ist freilich sehr unschön und wahrhaftig auch eine bizarre Blüte dieser Bürokratie. Außerdem würde so ein Geschäft viel Geld kosten. Der Kauf der hier angebotenen Betriebserlaubnis würde mit gut 7000 Euro zu Buche schlagen.
Hier endet mein aktueller Lagebericht, denn mehr weiß ich nicht, und vieles ist weiterhin in der Schwebe. Ich hoffe sehr, bei der Mitgliederversammlung mehr über die nächsten Maßnahmen und Perspektiven sagen zu können, wenngleich kaum zu erwarten ist, dass bis dahin schon klare Verhältnisse geschaffen sein werden.
Und wir hoffen natürlich auf rege Teilnahme bei der Mitgliederversammlung am 19. Mai 2018, 15 Uhr, im evangelischen Gemeindehaus, Pfarrweg 3, 72147 Nehren! (Das für nach der Mitgliederversammlung angekündigte Benefizkonzert fällt aus. Wir haben dafür aber etwas mehr Zeit für die Versammlung und können auch danach noch zusammensitzen.)
Holger von Rauch
Fortsetzung: ► Der Newsletter vom 13. Juni 2018 mit einem Sonderspendenaufruf